Zenshin-Briefe


04/2024  Wir stehen kurz vor der Winter-Sonnen-Wende, dem kürzesten Tag und der längsten Nacht im Jahr. Der 22. Dezember ist der Tag, an dem die Sonne in das Zeichen Steinbock tritt. Von nun an werden die Tage wieder länger und die Nächte werden wieder kürzer.

 

Weihnachten steht vor der Tür.

 

Die Geburt des Lichts wird überall auf unserem Planeten von den Menschen gefeiert. Das Wunder des Lichts hat schon immer die Menschen fasziniert, sie inspiriert und dazu gebracht, die Geheimnisse seiner Herkunft zu erforschen. Im Christentum steht Licht als Symbol für den Christos. Licht ist Ausdruck des Lebens, welches nur durch die Sonne gedeihen kann. Entsprechend wird Christus als die wahre Sonne bezeichnet. Im Johannes-Evangelium heisst es:

 

„Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt.

Er war in der Welt und die Welt ist durch ihn geworden.'

 

Nach den ältesten Vorstellungen der frühen Zivilisationen des Nahen Ostens werden Licht und Dunkelheit in rhythmischem Wechsel und damit als von- einander abhängig erfahren. Dunkelheit ist der geheimnisvolle, undurch- dringliche Grund und die Quelle des Lichts; und Licht wird mit Schöpfung assoziiert. Es gewährt und ist daher ein Symbol für die Urbedingungen des Lebens: Wärme, Sinnlichkeit und intellektuelle und spirituelle Erleuchtung.

Jetzt ist es Physikern zum ersten Mal gelungen, das Aussehen eines einzelnen Photons zu visualisieren. Photone sind die Grund-Einheit allen Lichts. Sie sind die Trägerteilchen der elektromagnetischen Strahlung und damit auch allen Lichts. Photone sind die Hauptquelle aller irdischen Energien.

 

Nichts in unserem Universum bewegt sich schneller als das Licht. Es erreicht die höchste uns bekannte Geschwindigkeit. Um diese unvorstellbaren Entfernungen im All nachvollziehbar auszudrücken, spricht man von Lichtjahren. Ein Lichtjahr ist mit etwa 9,5 Billionen Kilometern – eine Zahl mit elf Nullen ! – die Strecke, die das Licht innerhalb eiines Jahres zurücklegt und demnach kein Zeit - sondern ein Längenmaß.

 

Eine Lichtstunde entspricht 1,1 Milliarden Kilometer und eine Lichtsekunde etwa 300.000 Kilometer. Sirius beispielsweise, der hellste Stern am Nachthimmel ist 8,6 Lichtjahre von der Erde entfernt. Das sind umgerechnet 817 Billionen Kilometer. Für uns bedeutet diese Entfernung, dass wir Sirius nicht so sehen, wie er heute ist, sondern so, wie er vor 8,6 Jahren war.

 

Wir können somit in der Zeit zurücksehen. Jeder Blick durch ein Fernrohr ist auch ein Blick in die Vergangenheit. Das Licht der Sterne, das bei uns ankommt, zeigt uns den Zustand eines Sterns, als es ihn verliess.

Ähnlich unvorstellbar für uns ist ein Äon mythologischer Zeitrechnung. Im Buddhismus wird es als Kalpa bezeichnet.  Ein Kalpa unterteilt sich in folgende vier Perioden:

 

Weltuntergang (abnehmende Welt)

Fortdauer des Chaos

Weltentstehung

Fortdauer der entstandenen Welt.

 

 

Um die Dauer eines solchen Zeitabschnittes zu veranschaulichen, wird oft folgendes Gleichnis aus dem Samyutta-Nikaya verwendet:

 

„Wenn sich da, o Mönch, ein Felsblock befände

aus einer einzigen Masse, eine Meile lang,

eine Meile breit, eine Meile hoch, ungebrochen,

ungespalten, unzerklüftet, und es möchte

alle hundert Jahre ein Mann kommen und

denselben mit einem seidenen Tüchlein einmal reiben,

so würde wahrlich, o Mönch, der aus einer

einzigen Masse bestehende Felsblock eher abgetragen sein

und verschwinden als eine Welt.

 

Das, o Mönch, ist die Dauer einer Welt.

Solcher Welten nun, o Mönch, sind viele dahingeschwunden,

viele hunderte, viele tausende, viele hunderttausende.

Wie aber ist das möglich?

 

Unfaßbar, o Mönch, ist diese Daseinsrunde (samsāra),

unerkennbar der Beginn der Wesen,

die im Wahne versunken und von dem Begehren gefesselt

die Geburten durchwandern, die Geburten durcheilen.“

 

Unfassbar in der Tat. Den Schnittpunkt dieser Zeit-Raum-Achse können wir uns als das vorstellen, was die östlichen Weisheitslehren das 'JETZT' nennen, die ewige Gegenwart des Seins.

 

Hier steht der Mensch.

 

Er schaut in die Vergangenheit ebenso wie in die Zukunft. Er ist Beobachter und zugleich Empfangender. Er erkennt das göttliche Licht, als das, was es ist. Er erkennt sich selbst im 'Ich Bin Das.'

 

Im Buddhismus ist Licht eine wichtige Metapher für Erleuchtung, also für Erwachen oder das Verstehen der Wahrheit. Viele buddhistische Texte beschreiben die Natur des Geistes – also die Natur der geistigen Aktivität – als 'Klares Licht'. Der Begriff 'Klares Licht' bedeutet, dass geistige Aktivität, von Natur aus so klar ist wie der leere Raum. Wie der leere Raum ermöglicht der Geist, dass geistige Objekte – nicht nur Abbilder, sondern auch Geräusche oder Gedanken – in ihm erscheinen und erkannt werden, als wären sie etwas Sichtbares, das im Dunkeln beleuchtet wird.

 

Durch Achtsamkeit können wir diesen Bereich des Gewahrseins ausdehnen und ein Spiegelgleiches Gewahrsein üben. Achtsamkeit fördert unsere Empfänglichkeit und durch unsere Empfänglicheit wächst unser Verständnis und ein ausgleichendes Verständnis stärkt unsere natürliche Herzenswärme und weckt unsere ur-sprüngliche Freude.

 

Wenn Licht und Dunkelheit als abwechselnde, sich gegenseitig ablösende Stadien erlebt werden, müssen sie nicht mehr als gegensätzlich und feindlich angesehen werden. Beide bedingen einander und sind notwendige Phasen des Lebenszyklus, der nun als harmonische Gesamtheit wahrgenommen werden kann.

 

Weihnachten symbolisiert das Licht in der Dunkelheit. Und Licht - das ist Eins-Werden mit dem Schatten.

Vermehren wir unser Glück, indem wir den Schatten integrieren und unser Herz weit öffnen.

 

Und nun wünsche ich uns allen

eine lichtvolle Zeit und einen guten Start in das Jahr 2025!

 

der nächste Zenshin-Rundbrief erscheint

zur Frühjahrs-Tag-Und Nacht-Gleiche

am 21. März 2025

 

In herzlicher Verbundenheit

                     Birgit  Qiani  Werner